Ich lern grad für meine Ethik-Diplompüfung Dietrich Bonhoeffers Ethik. Was er darin zur Kirche sagt, ist sehr interessant: Er trennt (1) nicht zwischen sakral und profan, sondern (2) zwischen "natürlich" und "unnatürlich".
Ich probier hier mal zu erklären, wass er mit (1) und (2) meint:
Ad (1): Bei Bonhoeffer ist ganz oben immer Gott: Der teilt sogenannte Mandate aus: Ehe/Familie, Arbeit, Kirche, Obrigkeit. Das bedeutet, dass wir Menschen uns in diesen von Gott eingesetzten Ordnungen bewegen sollen. Es sind jedoch alle von Gott eingesetzt. Alle werden auch begrenzt: Einerseits von Gott, andererseits von den anderen: Die Familie ist dem staatlichen Zugriff vorenthalten, auf der anderen Seite darf der Staat zur Not aber eingreifen (Sonst könnte ja jemand Inzucht oder Kindesmisshandlung treiben). Andererseits begrenzt auch die Familie die Macht des Staates (der darf ihr z.B. keine Familienplanung vorschreiben...).
Ad (2): "Natürlich" ist bei Bonhoeffer das, was auf Jesus Christus ausgerichtet ist, "unnatürlich" ist, was sich vor Christus verschließt. Die menschliche Vernunft kann da jedoch nicht unterscheiden, denn die ist seit dem Sündenfall nicht mehr in Ordnung.
Was heißt das nun konkret für die Kirche: Die Kirche geht nicht im Staat oder in der Gesellschaft auf, sondern sie muss ihr Mandat von Gott wahrnehmen. Das bedeutet erst mal, dass sie einfach Kirche sein kann mit Leuten die das Wort hören, mit solchen, die es verkündigen, mit einem klaren oben und unten. Hier gehts aber weniger um die Autoritätsstruktur an sich, sondern einfach darum, Kirche zu sein. Die Hauptaufgaben dabei sind: verkündigen, dass Gott die Menschen in Jesus annimmt, und Leib Christi sein, der bei Bonhoeffer auf eine bestimmte Art auch die ganze Welt umfasst (da bin ich aber noch nicht ganz durchgestiegen, wie ers meint).
Aber: Es können auch "ethische" Situationen entstehen. Das ist zum Beispiel dann, wenn die Grenzen der Mandate nicht mehr so richtig funktionieren. Hier muss Verantwortung übernommen werden. Die Kirche muss darauf achten, dass sie auf der "natürlichen" - also Christus zugewandten - Seite bleibt und nicht auf die "unnatürliche" rutscht. Bonhoeffer formuliert ganz konkret ein Schuldbekenntnis der Kirche seiner Zeit, das sich an den 10 Geboten orientiert. In jedem einzelnen Gebot hat die Kirche versagt. (Beispielsweise hat sie gegenüber dem Nationalsozialismus ihre Stimme nicht erhoben, wie statt Gott der Mensch angebetet wurde. Auch hat sie zugesehen, wie fundamentale Menschenrechte verletzt wurden, hat sich am Mord mitschuldig gemacht usw...).
In so einer "ethischen" Situation sind nun folgende Dinge notwendig (wenn ich Bonhoeffer richtig verstehe):
1. Buße: Die Kirche kann sich nicht feige herausreden.
2. Stellvertretendes Handeln*: Stellvertretend deswegen, weil auch Jesus Verantwortung übernommen hat, als er am Tod gestorben ist. Handeln bedeutet hier automatisch auch Schuld auf sich nehmen. Die Vernunft kann nicht zwischen "natürlich" und "unnatürlich" unterscheiden. Hier muss einfach mutig im Vertrauen auf Gott gehandelt werden; in dem Bewusstsein, dass man sich vielleicht versündigt, aber auch im Bewusstsein, dass Gott gnädig ist**.
Ich denke, das ist eine interessante Perspektive für die Emerging Church. Ich glaube, dass die nicht vorhandene Trennung zwischen heiligem und unheiligem Bereich hier durchaus eine Gemeinsamkeit bildet. Nicht nur die Kirche ist von Gott eingesetzt und soll sich nach Christus richten, sondern auch die "Obrigkeit" ist ein Mandat Gottes, auch die Familie und die Arbeit.
Meine Meinung: Das könnte zum Beispiel bedeuten, dass wir in allen diesen Bereichen einfach im Bewusstsein leben können, dass das Gottes gute Ordnung ist. Gleichzeitig müssen wir aber als Kirche aufpassen, dass es nicht still wird. Hier kommt ein Gegenüber zwischen Kirche und den anderen Mandaten zum Ausdruck: Wir dürfen nicht schweigend zusehen, wenn die Kultur Mist baut. Wir müssen aber das Gericht Gott überlassen (das meint Bonhoeffer auch). Wir sollen auch unsere Verantwortung wahrnehmen, Jesus Christus zu verkündigen. Allerdings in dem Bewusstsein, dass die Kirche nicht einfach die Insel der Heiligen ist, sondern dass die anderen Mandate auch Gottes Mandate sind***. Ich denk, hier gibts für Emerging Church einerseits eine Bestätigung, andererseits aber auch eine wichtige Denkanregung, wir müssen unsere Verantwortung als Kirche wirklich wahrnehmen nach innen und nach außen.
Mein persönliches Zwischenergebnis:
(1) Fröhlich die coolen göttlichen Mandate leben,
darunter fällt (2) Kirche sein und Jesus verkündigen,
(3) Wenn nötig aber auch wirklich stellvertretend handeln (und global gesehen ist da auf jedenfall einiges nötig!)
Wie ihr merkt, ist hier noch viel zu denken drin, aber jetzt hör ich mal auf, sonst wirds viel zu lang....
* Bonhoeffer sah sich selbst in seiner Rolle in den Hitlerattentaten als schuldig an. Er sah sich als schuldig, in dem Fall an der Obrigkeit.
** Dies bedeutet bei Bonhoeffer jedoch nicht, dass die Mandate Kirche und Staat eins sind. Er meinte dazu, dass dabei die Kirche automatisch ihre Bedeutung verlieren würde (als Beispiel nimmt er damalige US-amerikanische Verhältnisse). Luthers Lehre von den zwei Reichen (Gottes Regiment, weltliches Regiment) deutet er nicht als Trennung, sondern als untrennbares Miteinander.
*** Das heißt aber nicht, dass irgendwie alle in den Himmel kommen, wenn sie nur ihr Mandat richtig erfüllen. Darum gings Bonhoeffer unter Garantie nicht, sondern eher darum, dass Kirche Kirche sein soll und Familie Familie sein soll usw.
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